Zugegeben: Wenn ich dem Buch zuerst mit dem deutschen Titel begegnet wäre, hätte ich es wahrscheinlich noch nicht mal in die Hand genommen. Und dann auch noch der Sticker mit dem „New York Times Bestseller“. Na ja. Mittlerweile habe ich es schon dreimal gelesen. Und einen Onlinekurs von Michael Singer gebucht. Und lese gerade seine Biographie. Ja, ich gebe es zu: ich – und auch meine Frau, mit der ich mich viel darüber austausche – sind echte Groupies geworden.
Warum? Bei meiner spirituellen Suche bin ich immer wieder auf Fragen gestoßen, die Widerstand in mir auslösten. Ich sollte mein Ego aufgeben. Ich sollte mich in Demut und Hingabe üben. Das klang für mich immer danach, dass ich einen Teil von mir nicht ausleben kann, dass ich mich auf eine bestimmte Art und Weise zurücknehmen muss. Michael Singer zeigt auf, dass so ziemlich das Gegenteil damit gemeint ist. Er erklärt spirituelle Weisheiten auf eine wunderbare Art, die mein Intellekt nachvollziehen kann. Und das ermöglicht mir, mich auf eine alternative Erfahrungswelt einzulassen.
Im Kern geht es ihm um folgende Botschaft: Die meiste Zeit unseres Lebens sind wir mit dem Versuch beschäftigt, die äußere Welt so zu beeinflussen, damit es uns innerlich besser geht. Wir stellen uns vor, wieviel besser es uns gehen würde, wenn wir ein neues Haus hätten, mehr Geld verdienten oder endlich mit der geliebten Person zusammen wären. Das alles sind immer wiederkehrende Versionen der Vorstellung: wenn dies und das passiert – oder nicht passiert – geht es mir besser; wenn dies und das passiert – oder nicht passiert – geht es mir schlechter. Und wir versuchen verzweifelt, die äußere Welt so zu manipulieren, dass wir entweder eine höhere innere Befriedigung erleben oder Schmerz vermeiden. Und damit versuchen wir ein Problem, das in unserem Inneren entstanden ist (unser Unvermögen die ganze Bandbreite der uns zur Verfügung stehenden Gefühle zuzulassen und zu genießen) im Äußeren zu lösen.
Damit schaffen wir uns eine unlösbare Aufgabe, weil wir auf der falschen Ebene ansetzen. Wenn wir dasitzen und warten oder daran arbeiten, bis die äußere Welt so ist wie wir sie uns wünschen, geraten wir in große Schwierigkeiten. Weil die Welt sich einfach nur vor unseren Augen entfaltet und diese Entfaltung nichts mit unseren Wünschen und unserer Existenz zu tun hat. Echte Lebensfreude entsteht an einer anderen Stelle. Sie entsteht, wenn wir es schaffen, das unglaubliche Wunder der Entfaltung der Welt ohne Bewertung zu beobachten. Und wir in der Lage sind, die Erfahrungen, die uns die Welt ermöglicht, zu genießen. Ohne Erwartungen daran zu knüpfen, wie diese Erfahrung auszusehen hat oder Präferenzen zu entwickeln, welche Gefühle wir lieber und welche Gefühle wir eher nicht erfahren würden. Wenn uns dies gelingt, bekommen wir direkten Zugang zu unser Lebensenergie. Zu einer Freude, die uns alle durchdringen kann. Michael Singer sagt nicht, dass wir uns z. B. nicht an materiellen Gütern erfreuen sollen. Aber er warnt davor, materielle Güter zu benutzen, um den inneren Zustand zu regulieren. Er zeigt, wie wir zunächst in einen Zustand der Freude kommen – und von diesem Zustand aus uns voll auf die Welt einlassen und diese genießen können. Dann hängt unsere Lebensfreude nicht von einer Vorstellung ab, wie die Welt hierfür zu sein hat. Und Michael Singer behandelt auch die Fragen, die sich sofort anschließen: Was ist mit dem ganzen Leid auf der Welt? Was, wenn ein geliebter Mensch stirbt? Soll ich mich dann freuen? Sein System folgt einer inneren Logik, in der sich kohärente Antworten hierauf finden.